Das Haupteinsatzgebiet von Antibiotika ist die Behandlung von Infektionskrankheiten. Genauer gesagt, die Behandlung von bakteriellen (in Einzelfällen auch von Parasiten hervorgerufenen) Infektionskrankheiten.
Die Auswahl des Antibiotikums soll so erfolgen, dass eine möglichst gute Wirksamkeit gegen den betreffenden Krankheitserreger besteht, dabei aber möglichst wenige Nebenwirkungen auftreten, möglichst wenige Resistenzen entstehen und die, in den letzten Jahren so sehr beachteten Mikrobiota möglichst wenig geschädigt wird.
So einfach das auf den ersten Blick scheint, so kompliziert kann das bei genauerer Betrachtung werden.
Die erste Frage ist also: Handelt es sich um eine Infektionskrankheit?
Diese Frage ist im Spital und nach längerem Krankheitsverlauf relativ einfach und sicher zu beantworten. In der Allgemeinmedizinschen Praxis ergeben sich aber schon hier Fallstricke.
Wir sind mit zunächst meist eher harmlosen Symptomen konfrontiert. Diese können aber sowohl Zeichen selbstlimitierender (also von selbst wieder ausheilender) harmloser Erkrankungen sein, als auch in viel selteneren Fällen schwere Verläufe anzeigen. Hier ist es die schwierige Aufgabe des Allgemeinmediziners aus den hundert Fällen mit leichten Verläufen den einen gefährlichen Fall herauszufiltern und einer adäquaten Therapie zuzuführen.
Beispiele für Symptome, die häufig auf Infektionen zurückgeführt werden können, aber oft auch einen anderen Ursprung haben wären:
Husten: Am häufigsten ist Husten in der Allgemeinmedizinischen Praxis durch eine virale Infektion verursacht. Ebenso kommen andere Ursachen wie z.B. Allergien, oder Medikamentennebenwirkungen, besonders aber „inhalative Noxen“ z.B. Rauchen, oder selten ein Bronchuskarzinom, oder Herzerkrankungen in Frage. Besonders schwer zu klären ist meiner Erfahrung nach die Möglichkeit, ob nicht ein Rückfluss von Magensäure, die in die Bronchien kommt, den Husten auslöst. Letztlich gibt es auch nicht ganz selten Husten, dessen Ursache trotz intensiver Durchuntersuchung nie gefunden wird.
Beschwerde beim Urinieren: Für den Harnwegsinfekt typisch sind häufiger Harndrang, Brennen beim urinieren und ein Schmerzgefühl im Unterbauch, eventuell Fieber. Treten diese Symptome bei prämenopausalen, sonst gesunden Frauen auf, die eventuell sogar noch berichten, dass bei einer vor einigen Jahren ähnlichen Symptomatik mittels Harnkultur ein Harnwegsinfekt festgestellt und erfolgreich mit einem Antibiotikum behandelt wurde, so ist die Situation einfach. Bei manchen anderen Patientengruppen, insbesondere alten Patienten ist die Situation oft viel komplizierter. Gynäkologische, oder andere urologische Probleme müssen ausgeschlossen werden.
Durchfall: Die häufigste Ursache für akut einsetzenden und auch wieder von selbst aufhörenden Durchfall ist in unseren Breiten eine virale Infektion, bakterielle Infektionen, oder selten parasitäre Infektionen. Genauso kann es sich aber auch um nicht infektiöse Ursachen, oder Medikamentennebenwirkungen handeln. Nicht ganz selten und schon gar nicht harmlos ist eine oft durch Antibiotika begünstigte Infektion mit einem Bakterium (Clostridium diffizile).
Ohrenschmerzen: häufig kommen virale, seltener Bakterielle Infektionen des Mittelohres oder des äußeren Gehörganges vor. Nicht infektiöse Ursachen kommen oft in Frage.
Schmerzen im rechten Oberbauch: Viele Ursachen sind möglich, eine bakterielle Entzündung der Gallenblase (oft bei Vorliegen von Gallensteinen) ist eine nicht ganz seltene Ursache.
Aus diesen Beispielen wird zunächst einmal klar: Die Frage ob es sich überhaupt um eine Infektion handelt, ist nicht immer aus dem Symptom einfach zu beantworten.
In der Allgemeinpraxis steht uns als nächster Schritt, die Ergänzung der Anamnese zur Verfügung:
Beschränken wir uns zunächst beispielhaft auf den Husten: Wir können also fragen: Sind Allergien bekannt?, Rauche Sie? Nehmen Sie Medikamente? Hatten Sie den Husten schon öfter? Zu bestimmten Jahreszeiten? Zu bestimmten Gelegenheiten? Haben Sie Fieber (gemessen)? Haben Sie ungewollt Gewicht verloren? Bekommen Sie schlecht Luft? Haben Sie ein Engegefühl in der Brust? usw.
Die Antworten auf diese Fragen führen uns weiter, beweisen aber noch immer nie eine bestimmte Ursache für den Husten, oder schließen andere aus.
Als Allgemeinmediziner beurteilen wir auch noch den gesamten Kontext. Ein sonst gesunder akut hustender 24 jähriger Nichtraucher ist ganz anders zu beurteilen, als ein schon länger kränkelnder, eigentlich schon länger hustender, grau und schwach wirkender 70 jähriger Raucher, den jetzt halt sein Leidenszustand endlich zum Arzt führt, z.B. weil der Husten zugenommen hat. Beide werde sich vielleicht zunächst mit den Beschwerden: „Ich huste seit 4 Tagen!“ vorstellen. Bei beiden mag ein akuter Infekt hinter dem Präsentiersymptom stecken, aber bei dem alten Raucher ist die Wahrscheinlichkeit nicht gering, dass eine andere Grundkrankheit die eigentliche Ursache ist.
Nehmen wir also an, dass wir, trotz der oben beschriebenen Schwierigkeiten die ersten Fallstricke überwunden haben und wir nun einen Fall vor uns haben, bei dem es sich tatsächlich um eine Infektionskrankheit handelt.
Bleiben wir beim Beispiel eines durch eine Infektion hervorgerufenen Hustens:
Die nächste Frage wäre, handelt es sich um eine bakterielle Erkrankung, die mit einem Antibiotikum behandelt werden soll? Oder handelt es sich um eine virale Erkrankung, die auf eine Antibiotikum nicht ansprechen würde?
Die ernüchternde Antwort: Wir können es nicht einmal mit der größten Erfahrung, mit dem aktuellsten Wissen und der größten angewandten Sorgfalt mit Sicherheit sagen.
Zunächst hilft uns aber die Wahrscheinlichkeit. Die meisten Infekte der unteren Luftwege sind viral bedingte Bronchitiden. Ein Antibiotikum ist dabei nicht sinnvoll und auch in Leitlinien nicht empfohlen.
Allerdings gibt es Erkrankungen, die eine ganz ähnliche Symptomatik machen können, oft schwerer verlaufen, gefährlicher sind und bei denen ein Antibiotikum wirksam und angezeigt ist.
Neben Sonderfällen bei der einfachen Bronchitis (alte, sonst auch schwer kranke Patienten) denke ich vor allem an die bakterielle Lungenentzündung.
Die typische bakterielle Lungenentzündung ist leicht zu erkennen. Hohes Fieber, Husten, Auswurf, Luftnot, eventuell Schmerzen und ein typischer Befund bei der Auskultation (Abhören) ergeben die Diagnose.
Ein atypischer Befund, der eventuell gar nicht an eine Lungenentzündung denken lässt, schließt eine solche aber nicht aus.
Wir sehen also aus den Beispielen, dass die erste Aufgabe, nämlich zweifelsfrei eine bestimmte Infektionserkrankung zu diagnostizieren, keineswegs banal ist.
In den nächsten Beiträgen werde ich mich damit beschäftigen, welchen Stellenwert bei bestimmten Infektionskrankheiten die antibiotische Therapie hat, wie die korrekte antibiotische Therapie ausgewählt werden kann, aber auch damit, welche anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen.
Ich möchte aber schon an dieser Stelle darauf hinweisen, dass bei allen Erkrankungen für die eine Impfung zur Verfügung steht, dieser vorbeugenden Maßnahme der Vorzug gegenüber allen Behandlungsmöglichkeiten zu geben ist.