Zusammenfassung:
Die Cholera ist eine, durch das gramnegative, begeißelte Bakterium Vibrio cholerae hervorgerufene Infektionserkrankung, die symptomlos, mit leichten Durchfällen, oder sehr schwer mit großem Flüssigkeitsverlust in Form von „reiswasserähnlichen Durchfällen“ verlaufen kann und dann unbehandelt mit hoher Sterblichkeit (=Letalität) verbunden ist.
Ca. 3 Millionen Fälle treten weltweit jährlich auf und verursachen ca. 120.000 Todesfälle
Allerdings ist die Cholera eine Erkrankung der Armen in ressourcenschwachen Ländern und hat kaum Bedeutung im touristischen Reiseverkehr.
Die Choleraimpfung wird daher im Allgemeinen als für Touristen „entbehrlich“ eingestuft.
Die Möglichkeit dass die Impfung auch bei Reisedurchfall (=Reisediarrhoe) wirkt, ist nur auf einen Teil der Fälle beschränkt und nicht ausreichend gut dokumentiert, so dass die Impfung in dieser Indikation in der EU nicht zugelassen ist.
Erreger:
Die Cholera wird von Giftstoffen (=Toxinen) von bestimmten Vibrionen hervorgerufen.
Vibrionen sind gramnegative, lebhaft bewegliche, monotrich, begeißelte Bakterien, die natürlich in Süß-, Brack-, oder Salzwasser vorkommen können.
Es gibt auch Vibrionen, die keine Toxine produzieren. Man nennt sie „nicht-cholera Vibrionen“ oder „non O1 u non O139 Vibrionen“ (siehe unten) und sie kommen z.B. auch im Neusiedlersee vor. Die nicht-cholera Vibrionen spielen eine gewisse Rolle bei Wund- und Ohrinfektionen und können auch Durchfall hervorrufen.
Vibrio cholerae:
Von Vibrio cholerae werden aufgrund von Oberflächenantigenstrukturen rund 200 verschiedene Serotypen unterschieden.
Nur die Serotypen O1 und O139 produzieren das Choleratoxin und können daher die Erkrankung „Cholera“ hervorrufen.
Vom Serotyp O1 werden wiederum 2 Biovare unterschieden, nämlich der „klassische“ Typ und „Vibrio cholerae biotyp El Tor“. Der Biotyp El Tor ist heute der häufigste Choleraerreger. Er ruft tendenziell weniger schwere Erkrankungsverläufe hervor.
Die Eigenschaft Choleratoxin zu produzieren wurde Vibrio cholerae durch eine Infektion mit einem Bakteriophagen (ein Virus das das Bakterium infiziert) zugefügt.
Das Reservoir für die Erkrankung ist der Mensch, aber auch Plankton.
Vibrio cholerae ist aquatisch, halophil (salzbeständig) und alkalibeständig und benötigt Temperaturen über 10°C.
Daraus ergibt sich das Vorkommen im Salz-, Brack- und Süßwasser und eher in wärmeren Gegenden.
Als Ursprung von Vibrio cholerae gilt das Gangesdelta.
Schlechte Abwasserhygiene begünstigt die Ausbreitung, wenn z.B. Faeces eines Menschen in Wasser gelangt, das wieder als Trinkwasser benützt wird. Allerdings gilt inzwischen auch Plankton als Reservoir, so dass nicht unbedingt direkt menschliche Faeces an einer Infektion beteiligt sein müssen.
Vibrio cholerae ist zwar alkalibeständig, aber säureempfindlich. Ausreichende Magensäureproduktion hat eine gewisse Schutzfunktion. Die Behandlung mit PPI´s (=magensäurehemmenden Medikamenten) gilt daher als Risikofaktor für die Infektion.
Die Förderung der Magensäureproduktion etwa durch einen Apperitiv könnte theoretisch eine gewisse Schutzwirkung haben.
Epidemiologie:
Verbreitung:
Ungefähr 3 bis 5 Millionen Menschen erkranken jährlich an Cholera und 100 bis 120.000 sterben daran.
Dabei handelt es sich um eine Erkrankung der Armen in ressourcenschwachen Ländern. Somit besteht kaum eine Gefahr für Touristen.
Da es sich in erster Linie um einen faeco-oralen Übertragungsweg handelt, spielen Abwasser-, Wasser- und Nahrungshygiene die wesentliche Rolle.
Bei an sich mangelnden systematischen Hygieneverhältnissen führt das Dazutreten eines weiteren Faktors dann oft zum Ausbruch von Epidemien. Z.B. das Erdbeben 2010 in Haiti oder der Krieg im Jemen, oder ein Zyklon in Mosambik 2019 führen bei schwacher Infrastruktur zu deren endgültiger Überforderung.
Menschenansammlungen, Slums, Massenbewegungen, Massenfluchten usw. begünstigen die Ausbreitung der Cholera.
In die EU werden jährlich nur wenige Fälle importiert.
- 24 Fälle 2015
- 23 Fälle 2016
- 17 Fälle 2017
- Alle gemeldeten Fälle hatten eine Reiseanamnese in Ausbruchsgebiete
Die meisten Infizierten bleiben symptomlos, können aber den Erreger 1-10 Tage ausscheiden (Dauerausscheider kommen vor).
80% derer, die Symptome zeigen erkranken leicht
20% derer, die Symptome zeigen erkranken schwer.
Daraus ergibt sich die folgende Impfempfehlung:
„According to WHO, vaccination should be considered for travelers at higher risk, such as emergency and relief workers who are likely to be directly exposed. Vaccination is generally not recommended for other travelers.”
Auf der folgenden Karte der WHO ist sichtbar, wo aktuell die Cholera relevant ist. Das sind Haiti nach dem großen Erdbeben von 2010 und der Jemen, in dem in Folge des Kriges seit 2016 eine Choleraepidemie wütet.
Die folgende Karte zeigt die weite Verbreitung der Cholera über einen längeren Zeitraum.
Beide Karten gemeinsam illustrieren die Tatsache, dass die Cholera in weiten Gebieten der Welt grundsätzlich verbreitet ist, aber meist gerade im Rahmen von Naturkatastrophen oder sozialen Katastrophen relevante Ausmaße, oft als Epidemien annimmt.
Die Cholera nahm ihren Ausgang vom Gangesdelta, in dem sie vermutlich Jahrhunderte lang immer wieder in Form kleinerer Ausbrüche und Epidemien auftrat. Seit 1817 breitete sie sich in mehreren Pandemien über die ganze Welt aus. Auch in Europa kam es im 19. Jahrhundert zu mehreren Epidemien.
Wenn es bei ungünstiger Infrastruktur zu besonderen Ereignissen kommt, wie einem Erdbeben in Haiti und damit die Abwasser-, Abfall-, Wasser- und Nahrungsmittelhygiene nicht mehr aufrechterhalten werden kann, kommt es dann lokal zum Auftreten von Epidemien.
Erkrankung:
Übertragung:
Der Mensch ist das Hauptreservoir von Vibrio cholerae. Daneben spielt vermutlich Plankton eine Rolle.
Faeco-oraler Infektionsweg bedeutet, dass der Erreger irgendwie vom Stuhl eines infizierten in den Mund eines gesunden Menschen kommen muss. Das geschieht über Trinkwasser, aus anderem Grund verschlucktes Wasser, über Hände, Nahrungsmittel usw.
In Süß-, Brack- und Salzwasser beträgt die Infektionsdosis 10^3 bis 6, in kontaminierten Lebensmitteln 10^2 bis 4.
Magensäure reduziert die Anzahl der Erreger. Magensäurehemmenden Medikamente erhöhen die Suszeptibilität (=Empfänglichkeit).
Inkubationszeit:
Die Inkubationszeit beträgt zwischen einigen Stunden und zumindest unter einer Woche. Meist beträgt die Inkubationszeit 2 bis 3 Tage.
Klinische Symptomatik:
Wie bereits oben angeführt erkranken nur einige der mit dem Bakterium Infizierten überhaupt. Bei 80 % der Erkrankten verläuft die Erkrankung leicht, bei 20% schwer.
Das Vollbild der Cholera beginnt abrupt mit voluminösen, wässrigen Stühlen, die sich als leicht getrübte farblose Flüssigkeit mit kleinen Schleimflocken darstellt, so dass insgesamt das Bild von „reiswasserähnlichen Stühlen“ entsteht.
Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen stehen nicht im Vordergrund.
Elektrolyt- und Wasserverluste von bis zu 25 Liter in 24 Stunden können zu Kreislaufversagen, Nierenversagen und Tod im hypovlämischen Schock führen.
Die Elektrolytverluste führen zu typischen Wadenkrämpfen.
Weitere Symptome, die in alten Beschreibungen der Cholera genannt werden sind die „vox cholerica“ und die „facies cholerica“.
Unter „vox cholerica“ versteht man eine hohe, heisere, leise Stimme, die wohl nicht typisch für die Cholera, sondern die allgemeine Schwäche und Austrocknung sein wird.
Auch die „facies cholerica“, der Eindruck des eingefallenen Gesichtes mit tiefliegenden Augen und graublauen Schatten um die Augen und um Nasenflügel und Mund, sowie einer Neigung der oberen Augenlider, sich nicht ganz zu schließen, was das nach oben Wandern der Augäpfel beim versuchten Augenschluss sichtbar macht, wird wohl eher ein Zeichen der völligen Entkräftung bei Exsiccose (Austrocknung) sein, als spezifisch auf den Erreger hinweisen. Ergänzt wird die Beschreibung der „facies cholerica“ in alten Schriften noch durch die Interpretation des Gesichtsausdruck als ängstlich, ungläubig, erstaunt, oder teilnahmslos.
Schwere Verläufe der Cholera führen unbehandelt in 50% der Fälle zum Tod. Bei adäquater Behandlung beträgt die Letalität immer noch 2%.
Eine seltene Verlaufsform ist die „Cholera sicca (fulminans)“. Darunter versteht man einen foudroyanten Verlauf mit großen Flüssigkeitsansammlungen im Gastrointestinaltrakt, der rasch, ohne Erbrechen und Durchfälle zum Tod führt.
Pathogenese:
Das Choleraenteroxin bewirkt im Dünndarm massive Wasser- und Elektrolytverluste, die zu Hypvolämie, Schock und Nierenversagen führen.
Falldefiniton:
Nach WHO werden für die Definition klinische, epidemiologische und Laborkriterien herangezogen.
Ein „wahrscheinlicher Fall“ liegt demnach vor, wenn folgende klinische und epidemiologische Kriterien zutreffen:
- Klinische Kritereien:
- Durchfall
- Erbrechen
- Epidemiologische Kriterien:
- Exposition gegenüber einer gemeinsamen Infektionsquelle (mit anderen Erkrankten)
- Übertragung von Mensch zu Mensch
- Exposition gegenüber kontaminiertem Wasser oder kontaminierten Lebensmitteln
- Umweltexposition
Durch das Hinzutreten der Laborkriterien wird aus dem „wahrscheinlichen Fall“ der „bestätigte Fall“.
- Laborkriterien
-
- Isolierung des Vibrio cholerae aus einer klinischen Probe
- UND Nachweis von O1 oder O139 Antigen im Isolat
- UND Nachweis von Cholera-Enterotoxin oder Cholera-Enterotoxin-Gen im Isolat
Schnelltest werden derzeit von der WHO validiert, mit dem Ziel, Ausbrüche rascher zu erkennen. In der individuellen Diagnostik spielen sie keine Rolle.
Therapie:
In 80% der Cholerafälle reicht zur Therapie der orale Flüssigkeits- und Elektrolytersatz mittels der oralen Rehydratationslösung (WHO) aus. Damit soll so früh wie möglich begonnen werden.
Bei Kindern bis zum 5. Lebensjahr wird die Gabe von Zink empfohlen.
In schweren Fällen ist intravenöser Flüssigkeits- und Elektrolytersatz notwendig. Gegebenenfalls wird intensivmedizinische Behandlung nötig.
Die Antibiotikagabe hat im Vergleich mit den oben angeführten Maßnahmen untergeordnete Bedeutung, mindert aber doch bei schweren Verläufen die Krankheitsdauer und die Menge des ausgeschiedenen Stuhls und verkürzt die Zeit der Erregerausscheidung.
Die Antibiotika der ersten Wahl bei der Cholera sind Tetracycline (Tetracyclin, Doxicyclin). Bei Resistenzen oder Kontraindikationen kommen Azithromycin (wenige Resistenzen z.B. in Bangladesch sind möglich) und Chinolone (schlechte Resistenzlage, Sicherheitsbedenken) in Frage.
Eine antibiotische Massenprophylaxe wird nicht empfohlen. Zur Frage ob bei gegebener Exposition eventuell eine individuelle Prophylaxe durchgeführt werden soll, besteht zu geringe Evidenz. Eine individuelle Prophylaxe kann aber in Erwägung gezogen werden.
Letalität:
Eine Letalität von 60% bei unbehandelter Cholera hervorgerufen durch den klassischen Biotyp und 10 – 30% beim Biotyp El Tor werden angegeben.
Bei behandelter Cholera wird eine Letalität von 1% angegeben.
Diese Angaben dürften allerdings unter der Voraussetzung einer klinisch relevanten Erkrankung gelten. Es könnten dabei etwa nur diese Personen berücksichtig sein, die aufgrund einer schon zumindest mittelschweren Erkrankung in einem Spital aufgenommen werden. Wer in ein Spital aufgenommen wird, ist in den ressourcenarmen Ländern, in denen Cholera üblicherweise auftritt, vermutlich auch nicht einheitlich.
Wie oben angegeben, erkranken ja viele der Infizierten nicht einmal, oder zeigen milde Symptome, wie z.B. bei Reisediarrhoe und bleiben wohl in der Berechnung der Letalität unberücksichtigt.
Wenn man dem gegenüber die 1.702.246 Verdachtsfälle, die im Jemen von Oktober 2016 bis 30. April 2019 registriert wurden mit den 3.438 bestätigten Todesfällen vergleicht, ergibt das eine Letalität von etwa 0,2%.
Historische Zahlen dazu:
Prof. Dr. H.R. Göppert
Die Cholera in Breslau (Daten aus 1829, amtliche Listen)
„allgemeine Cholera-Zeitung“
Auszug:
Alter 2-3 Jahre: 22 Erkrankte | 15 verstarben |
Alter 36-40 Jahre: 159 Erkrankte | 84 verstarben |
Alter 76-80 Jahre: 17 Erkrankte | 13 verstarben |
Alter 90 – 100 Jahre: 1 Erkrankte | 1 verstarb |
Diese Zahlen zeigen eine Letalität, wenn man nur klinische Kriterien zur Diagnostik heranzieht (Labortests standen damals ja noch nicht zur Verfügung). Das bedeutet, dass wohl nur mindestens mittelschwere Fälle erfasst wurden. Weiters ist unklar, was an Therapie damals zur Verfügung stand und angewandt wurde.
Prophylaxe:
Hygienemaßnahmen sind die wichtigste Prophylaxe. Dabei ist neben der individuellen Hygiene natürlich die infrastrukturelle Hygiene wichtig.
Impfungen können Hygienemaßnahmen in den betroffenen Gebieten ergänzen und spielen eine wesentliche Rolle für ausgesuchte Reisende, z.B. Helfer vor Ort bei Ausbrüchen nach Naturkatastrophen oder Kriegen.