Grenzfälle der Antibiotikatherapie: Akuter Durchfall/Reisediarrhoe
Zusammenfassung und Diskussion von akutem Durchfall als Grenzfall der Antibiotikatherapie:
Eine in Österreich erworbene akute Diarrhoe ist meist infektiös bedingt. Als Erreger kommen vor allem Viren oder Bakterien in Frage. Die Erkrankung ist meist selbst limitierend und eine antibiotische Therapie daher in der Regel nicht indiziert. Obwohl das Erregerspektrum bei der Reisediarrhoe von dem, der in Österreich erworbener Diarrhoe abweicht, gilt hinsichtlich Verlauf und Therapie das Gleiche.
Sowohl bei Reisediarrhoen, als auch bei in Österreich erworbenen Diarrhoen gilt, dass nur bei langer Dauer, schwerem Verlauf, Risiko von Komplikationen oder epidemiologischen Gründen, oder Gründen der Übertragungsprophylaxe (Beschäftigung in der Lebensmittelverarbeitung, Gemeinschaftseinrichtungen) eine mikrobiologische Diagnostik erfolgen soll. Die Therapie erfolgt dann entsprechend dem ggf. entdeckten Erreger.
Für die Primärversorgung ergibt sich in der Praxis bei der akuten Diarrhoe kaum die Indikation für eine antibiotische Therapie.
Insbesondere sollte nur in Ausnahmefällen eine kalkulierte Therapie begonnen werden.
Selbst nach Erregernachweis bleibt die antibiotische Therapie Einzelfällen (z.B. Clostridium difficile Infektion, Shigellen) vorbehalten.
Eine antibiotische Therapie ist bezüglich Durchfallerkrankungen eher als Auslöser per se, oder über den Umweg der Begünstigung einer Clostridium difficile Infektion bedeutsam.
Die Resistenzsituation bei Erregern von Durchfallserkrankungen ist teilweise dramatisch.
Eine Schädigung des Mikrobioms durch den Einsatz von Antibiotika ist gesichert. Die klinische Bedeutung dieses Umstandes ist anzunehmen und Gegenstand der Forschung.
Therapeutische Optionen sind in erster Linie die orale Rehydratation und symptomatische Maßnahmen wie Antidiarrhoica (Loperamid) oder Antiemetica bei begleitender Nausea und Erbrechen. Weiters werden Allgemeinmaßnahmen angewandt.
Allgemeines und Definitonen:
Als Durchfall werden 3 oder mehr ungeformte Stühle am Tag bezeichnet.
Als „akut“ wird der Durchfall bezeichnet, wenn er bis zu 2 Wochen dauert.
Als „chronisch“ wird Durchfall bezeichnet, der länger als 4 Wochen dauert.
Ursache des akuten Durchfalls sind in der Regel Infektionen. Viren, Bakterien und Protozoen sowie eventuell Helminthen kommen als Erreger in Frage. Die spezifische Symptomatik und der Kontext in dem die Infektion erworben wurde, sowie Patientenmerkmale erhöhen zwar die Wahrscheinlichkeit, dass bestimmte Erreger ursächlich sind, lassen aber für sich noch keine Diagnose zu.
Der akute Durchfall ist meist selbst limitierend und gutartig und sollte primär nicht antibiotisch sondern durch Allgemeinmaßnahmen und gegebenenfalls supportiv behandelt werden, wobei die orale Rehydrierung die wichtigste Maßnahme ist.
Eine routinemäßige Erregerdiagnostik sollte in der Regel nicht erfolgen, sondern nur in Sonderfällen.
Sonderfälle in denen eine Erregerdiagnostik erfolgen sollte:
- Schwer Komorbiditäten (z.B. ren. Insuffizienz)
- Schwere Immundefizienz/-suppression
- Schwerer Verlauf insbesondere blutige Stühle, Fieber über 38,5°, Sepsis
- Risiko für Clostridium difficile Infektionen (Antibiotika in den letzten 3 Monaten, Spitalsaufenthalte, Pflegeheim, hohes Alter, frühere CDI)
- Nosokomiale Diarrhoe
- Vor Einleitung einer Antibiotikatherapie
- Epidemiologisches Interesse/Ausbruchsituationen
Die Basisdiagnostik bei ambulant erworbener Diarrhoe umfasst zunächst:
- Campylobacter, Shigellen, Salmonellen und Noroviren
Bei Verdacht auf EHEC/HUS (Trias: blutige Durchfälle, Thrombozytopenie, Hämolyse):
- Untersuchung auf EHEC (Shigella Toxin bildende E. coli)
Bei Verdacht auf Clostridium difficile bedingter Diarrhoe (Risikofaktoren):
- Untersuchung auf toxinbildende Clostridium difficile.
Antibiotische Therapie:
Ohne Erregernachweis:
Bei Verdacht auf eine infektiöse Gastroenteritis ohne vorherigen Erregernachweis sollte primär keine antibiotische Therapie erfolgen.
Bei folgenden Sonderfällen kann eine antibiotische Therapie erwogen werden:
- Blutige Diarrhoe
- Zeichen einer systemischen Infektion (Fieber über 38,5°)
- Immunsuppression
Bei Erregernachweis:
Nicht typhoide Salmonelleninfektion:
- Bei Nachweis von Salmonellen ohne Zeichen systemischer Infektion, sollte in der Regel keine antibiotische Therapie erfolgen.
- Eine Therapie sollte nur in Sonderfällen durchgeführt werden (siehe Leitlinien)
- Bei Salmonellennachweis im Stuhl länger als 3 Monate kann ein Therapieversuch mit Ciprofloxacin über 4 Wochen durchgeführt werden.
Shigelleninfektion:
- Bei akuter Shigelleninfektion soll eine antimikrobielle Therapie (Azithromyzin, Ciprofloxacin je nach Resistenz) durchgeführt werden.
Campylobacterinfektion:
- Wenn es bis zum Erhalt des mikorbiellen Untersuchungsergebnisses bereits zu einer Besserung des klinischen Bildes gekommen ist, soll keine antibiotische Therapie erfolgen.
- Bei schwerem Krankheitsbild oder fehlender klinischer Besserung soll eine Therapie mit Azithromycin oder Ciprofloxacin erfolgen
Yersinien:
- Bei durch Yersinien hervorgerufenen Gastroenteritiden soll in der Regel keine antibiotische Therapie erfolgen (Ausnahme: schweres Krankheitsbild und fehlende klinische Besserung)
EHEC:
- Eine antibiotische Therapie (ggf. Carbapenem) bei Infektionen mit EHEC sollte zurückhaltend erfolgen. Eine Verschlechterung durch vermehrte Toxinfreisetzung bzw. eine Verlängerung des Verlaufes sind möglich.
Clostridium difficile Infektion:
- Eine durch Clostridum difficile Infektion hervorgerufene Diarrhoe soll antimikrobiell behandelt werden. (siehe entsprechende Leitlinien)
Reisediarrhoe:
Die Reisediarrhoe kommt je nach Destination bei 10 bis 40% der Fernreisenden vor, tritt meist innerhalb von 4 Tagen nach Ankunft im Urlaubsland auf und ist in der Regel, wie jede akute Diarrhoe selbstlimitierend.
Das mögliche Erregerspektrum unterscheidet sich jedoch von hierzulande erworbenen Diarrhoen.
Als Erreger sollen besonders bedacht und in die Basisdiagnostik mit einbezogen werden: ETEC und andere enteropathogene E. coli, Shigellen, Salmonellen, Campylobacter und Protozoen (Entamoeba histolytica, Lamblien). Bei Eosinophilie ist an Wurmerkrankungen (Strongiloides stercoralis, Isospora belli) zu denken.
Als Differenzierungsmerkmal für die Notwendigkeit von Diagnostik und Therapie kommen wieder die Punkte: Alter (Säugling, alter Mensch), blutige Stühle, Fieber über 38,5°, Schwere der Erkrankung mit Tenesmen, Hypotonie, Dauer der Erkrankung in Frage.
Die Symptome geben gewisse Hinweise auf das zu erwartende Erregerspektrum.
Am häufigsten kommen breiig wässrige Durchfälle vor. Dabei kommen alle Erreger in Frage. Z.B. ETEC, Campylobacter, Shigellen, Salmonellen, Noroviren.
Akute Gastroenteritis, mit dominierendem Erbrechen: Noroviren, Toxine von Staph. aureus, Bacillus cereus.
Dysenterische Verläufe mit blutigen Stühlen: Shigellen, Campylobacter, Entamöba histolytica, EHEC, Salmonellen.
Persistierende Diarrhoe: Giarida lamblia, Shigellen, Entamöba histolytica, Kryptosporidien, Cyclospora, Microsproridien.
Bei allen Rückkehrern aus Gebieten, in denen eine Malariainfektion möglich ist, muss diese als abwendbar schwerer Verlauf bei Fieber besonders berücksichtigt und immer in die Diagnostik mit einbezogen werden. Es ist möglich, dass sich eine Malaria, die sich anfangs als fieberhafte Durchfallerkrankung präsentiert rasche zu einem lebensbedrohlichen Krankheitsbild entwickelt.
Die mikrobielle Basisuntersuchung bei Reiserückkehrern mit fieberhafter und/oder blutiger Diarrhoe umfasst: Salmonellen, Shigellen, Campylobakter und Amöben.
Eine empirische Antibiotikatherapie sollte bei Tropenrückkehrern bei Fieber über 38,5° oder blutigen Stühlen oder erhöhtem Risiko für Komplikationen erfolgen. (Azithromyzin, Ciprofloxacin).
Impfung gegen Durchfallserkrankungen:
Diarrhoe allgemein:
Im Österreichischen Impfplan ist die Impfung gegen Rotaviren im Säuglingsalter vorgesehen.
Reisediarrhoe:
Es gibt keine in Österreich in dieser Indikation zugelassenen Impfung. Der gegen Cholera zugelassene Impfstoff Dukoral® hat ebenfalls aufgrund der Ähnlichkeit des Toxins eine Wirksamkeit gegen von ETEC hervorgerufene Reisedurchfälle. Die Studienlage dazu ist aber für eine generelle Empfehlung nicht ausreichend.
Allgemeinmaßnahmen:
Die wichtigste Allgemeinmaßnahme ist der Ersatz von Flüssigkeit und Elektrolyten, sowie die Zufuhr von Glucose. Dafür allgemein akzeptiert ist die orale Rehydratationslösung, wie sie von der WHO vorgeschlagen wird. Es stehen Fertigarzneimittel zur Verfügung (z.B. Normhydral®, Normolyt®). Die Herstellung mit Glucose (z.B. in Form von Fruchtsäften), Na (z.B. in Form von Kochsalz), Kalium (Fruchtsäfte, Banane) und Natriumbicarbonat (Backpulver) ist möglich.
Diätetisch: Reis, Banane, Zwieback, Tee, Suppe
Auswahl von phytotherapeutischen Maßnahmen:
Karottensuppe nach Moro:
Karotten lange kochen fein passieren und mit etwas Rindsuppe, oder Suppenwürfel abschmecken.
Experimentellen Untersuchungen zufolge enthalten Karotten ein Oligogalaktudronid, das bereits in einer Konzentration von 0,005% die Anheftung schädlicher Bakterien an die Darmmukosa hemmt und damit kausal bei Diarrhoe wirkt.
Gerbstoffdrogen (Adstringenzien):
z.B. Radix tormentillae, Myrtilli fructus (getrocknete Heidelbeeren), Folium theae nigrae (Schwarztee)
Beispiel einer Teemischung bei Diarrhoe mit carminativer Begleitwirkung:
Rp:
- Theae nigrae folium tot 40,0
- Foeniculi fructus cont. 20,0
- Melissae folium conc. 20,0
M.f.spec. antidarrhoicae
D.S. 2 TL Teemischung mit einer Tasse kochendem Wasser übergieße, ca 10 Min. bedeckt ziehen lassen. 2 – 3 Tassen tgl. trinken.
Literatur:
- S2k Leitlinie Gastrointestinale Infektionen und M. Whipple, AWMF, Stefan Hagel et al., https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/021-024l_S2k_Infekti%C3%B6se_Gastritis_2015-02-verlaengert.pdf (letzter Zugriff 29.8.2018)
- Akuter Durchfall, AWMF, DEGAM, Martin Sander, Katharina Gerlach https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-030l_S1_Akuter_Durchfall_2014-06.pdf (letzter Zugriff 29.8.2018)
- Antibiotika Grenzfälle, ÖGAM, Reinhard Dörflinger, Reinhold Glehr, Ärztemagazin Ausgabe 8/KW18/2018 S 12-15
- Österreichischer Impfplan 2018, Herausgeber: Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz
- Leitfaden Phytotherapie, 2. Auflage, Heinz Schilcher, Susanne Kammerer, Urban&Fischer München, Jena